Das Geburtstrauma

von Feb 2, 2012

Der Verlauf unserer Geburt – der Übergang von der vorgeburtlichen Existenz zum postnatalen Leben – ist von zentraler Bedeutung für jede Phase unserer körperlichen und psychischen Entwicklung.

Therapeutische Erfahrung zeigt, dass die Geburt uns ganzheitlich prägt. Kognitive und sprachliche Möglichkeiten diese Erfahrung zu verarbeiten werden erst später erworben. Das Trauma der Geburt berührt unmittelbar unseren Kern und formt unsere zentralen psychosomatischen Strukturen. Ein Zugang zu dieser Erfahrung ist über Körperarbeit möglich.

Das Trauma der Geburt

Die Vorstellung, dass die Geburt ein traumatisches Erlebnis für ein Baby sein kann geht auf Sigmund Freud zurück. Seine zunächst somatischen Beobachtungen an Patienten ließen ihn vom sogenannten Geburtstrauma sprechen. Später sahen er und sein Schüler Otto Rank in der Austreibungsphase und der Trennung von der Mutter die eigentliche Traumatisierung. Dieses für jedes Kind mehr oder weniger traumatische Erlebnis betrachteten sie als Wurzel aller späteren Angstgefühle, sie vermuteten hier auch den Ursprung religiöser Vorstellungen.

Freuds Bereitschaft, die Bedeutung solch früher Erfahrungen als bedeutenden Faktor für die psychische Entwicklung jedes Menschen in Betracht zu ziehen endete mit der Veröffentlichung von Otto Ranks Buch “Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse” (1924). Ranks Theorien verlangten in der Konsequenz nicht weniger als eine vollständige Neuformulierung grundlegender psychoanalytischer Konzepte.
Freuds repressive Haltung diesen Konzepten gegenüber hat seither Psychoanalytiker und Psychotherapeuten aller Schulen geprägt. Und so ist die tiefenpsychosomatische Bedeutung der Geburt in der Schulpsychologie und vor allem in der Psychoanalyse bis heute umstritten.

Geburtsdiagnostik – die tiefenpsychosomatische Bedeutung der Geburt

Die Arbeiten der modernen Prä- und Perinatalpsychologie und Medizin belegen immer klarer, dass der Verlauf unserer Geburt, der Übergang von der vorgeburtlichen Existenz zum postnatalen Leben, von zentraler Bedeutung für jede Phase unserer späteren Entwicklung ist. Das Trauma der Geburt berührt unmittelbar unseren Kern und formt unsere zentralen psychosomatischen Strukturen. Ein Zugang zu dieser Erfahrung ist über Körperarbeit möglich.

In meiner Arbeit mit meinen Klienten erlebe immer wieder wie unglaublich wichtig es ist sich mit der Pränatalen Periode (wenn wir uns im Mutterleib befinden), der eigentlichen Geburt und der Perinatalen Zeit (nach der Geburt) zu befassen und sie genau auszuleuchten um wirklich an unsere Codes und Programmierungen heranzukommen, sie aufzulösen und im Allgemeinen einfach psychisch gesünder zu werden. Basierend auf der bahnbrechenden Arbeit von Dr. Terence Dowling haben wir eine Technik und Methode entwickelt die eine Reinszenierung der eigenen Geburt (inkl. Schwangerschaft) ermöglicht. Durch diese Unterstützung kann die emotionale Bedeutung der Geburt wahrgenommen und ein Bewusstwerden der eigenen tiefenpsychosamtischen Struktur ermöglicht werden. Dies schafft Raum neue Lösungsstrategien auszuprobieren anstatt die eigene Geburtsdynamik unbewusst in jedem Lebensprozess zu wiederholen.

Wichtig ist, dass es sich hierbei nicht um ein einmaliges Bewusstwerden handelt. Unsere Methoden der Verarbeitung der Geburt ist eine immer wieder erneuernde Öffnung des Menschen, die ihn befähigt, wirklich im Leben zu stehen, anstatt in der Enge einer unbewussten Geburtsdynamik gefangen zu bleiben.

geburt

Ein Artikel zum Thema „Geburt“ und deren weiterer Auswirkung auf unser Leben – von Dr.Terence Dowling:

„Der Gedanke, daß das Geburtstrauma von fundamentaler Wichtigkeit für die psychische Entwicklung eines Menschen sei, ist nicht neu in der Psychologie. Otto RANK war der erste, der dies in seinem Buch »Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die
Psychoanalyse« (1924) (1) systematisch erläuterte, und seine Einsicht in die Wichtigkeit des Geburtserlebens ließ ihn den Versuch einer kompletten Neuformulierung der bisherigen psychoanalytischen Theorie und Praxis unternehmen; von FREUD zunächst ebenfalls propagiert und autoritär verteidigt.

RANK behauptete, daß jeder Mensch bei seiner Geburt das größte Trauma seines Lebens überhaupt erleide und ein Leben lang versuche, dies auf jedmögliche Art zu überwinden, stets mit der unbewußten Sehnsucht, in den Mutterleib zurückzukehren. Das Geburts-trauma war so wesentlich für ihn, daß er glaubte, daß nicht nur Ängste, sondern sogar die gesamte psychische Entwicklung eines Individuums auf das bei der Geburt erlittene Trauma zurückgeführt werden können.

RANK zog insbesondere die Möglichkeit in Betracht, daß der Heilungsprozeß, den er bei seinen Patienten beobachtete, durch Geburtssymbole in ihren Träumen und Phantasien dargestellt wurde , und daß die Übertragung ein Wiedererleben der frühesten Fixation des Kindes an die Mutter sei. Das Ende der Therapie, die Lösung des Patienten vom Therapeuten, symbolisierte für ihn die Trennung des Patienten von der Mutter bei der Geburt, d.h. erfolgreiche Therapie durch Abreaktion des Geburtstraumas.

RANKs Buch war Sigmund FREUD gewidmet und erhob den Anspruch, als Gesamtergebnis der von Rank angewandten psychoanalytischen Methode FREUDs in der Patientenbehandlung eine legitime und wichtige Entwicklung in der Psychoanalyse zu sein. Auch FREUD selbst hatte sich seinerzeit dahingehend geäußert, daß die Angst des Kindes während des Geburtsprozesses der Grundtyp für alle späteren Ängste sei, indem er konstatierte: »Der Geburtsakt ist übrigens das erste Angsterlebnis und somit die Quelle und das Vorbild des Angstaffektes« (2).

Auch wird berichtet, das FREUD die Möglichkeit in Erwägung zog, daß ein durch Kaiserschnitt zur Welt gekommenes Kind unterschiedliche Angst-Skripte besäße (3).
Wie dem auch sei, in jedem Fall war RANKs Buch eine Überraschung für orthodoxe Psychoanalytiker. Man war sich klar, daß seine Theorie der Ruf nach einer Reformulierung von Grundkonzeptionen war wie zum Beispiel des Lustprinzips, aus dem der Wunsch wurde, in den Mutterleib zurückzukehren.

Die Theorien RANKs lieferten darüber hinaus eine neue Hermeneutik für die Interpretation von Träumen und universeller Symbolik sowie neues Verständnis hinsichtlich normalen und abnormen Sexualverhaltens, Neurosen, Psychosen sowie des kulturellen Lebens in seiner Gesamtheit. Auch wird berichtet, daß Analytiker rasch Geburtstraumen bei ihren Patienten nach Erscheinen von RANKs Buch entdeckten (4).

FREUD schien zunächst durch RANKs Erkenntnisse tief beeindruckt, fühlte sich jedoch auch angegriffen. Es wird berichtet, daß er sich weigerte, mehr als nur das erste Kapitel von RANKs Buch zu lesen; gab es statt dessen seinen Patienten und fragte sie, was sie davon hielten (5). Er zögerte lange, ein Urteil abzugeben. Nach einigen Monaten schließlich wies er RANKs Theorien entschieden zurück und wandte sich gänzlich von ihnen ab, und schnell hörten auch seine Anhänger auf, Geburtstraumen bei ihren
Patienten zu entdecken (6). Später propagierte FREUD klar und deutlich, daß psychisches Leben erst nach der Geburt beginne, und schrieb: “Die Gefahr der Geburt hat noch keinen psychischen Inhalt“ (7, S. 165), und „ . . . die Geburt wird subjektiv nicht als Trennung von der Mutter erlebt, da diese als Objekt dem durchaus narzißtischen Fötus
völlig unbekannt ist“ (8, S. 161). Wissenschaftliche Begründungen oder psychoanalytische Beobachtungen, die FREUD in seiner autoritären Beurteilung des fetaten Erlebens unterstützt haben könnten, sind nirgendwo von ihm aufgeführt, und man muß hier nach anderen Gründen suchen, weshalb er zu diesem Ergebnis kam“.

Literatur
1. Rank, O., Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse (1924).
2. Freud, S.., Die Traumdeutung (1900), S. 391.
3. This story is reported by D. W. Winnicott, Collected Papers: Through Pediatrics to Psycho-Analysis (1958), S. 175.
4. Glover, E., The Therapeutic Effect of Inexact Interpretations: A Contribution to the Theory of Suggestion, in Int. Journal of Psychoanalysis , XII (1931), S. 397.
5. Taft, J. : Otto Rank, S. 92.
6. Glover, E., op. Cit.
7. Freud, S., Hemmung, Symptom und Angst. GW XIV, S. 165.
8. Freud, S., op. Cit., S. 161.

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Bildquelle: Shutterstock

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Herzlichst, Renate

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