Es gibt keine Selbstverwirklichung ohne Dualität

Es gibt keine Selbstverwirklichung ohne Dualität

Jeder, der sich auf einen spirituellen Weg hin zur Selbstverwirklichung begibt, wird irgendwann der Doktrin der Nicht-Dualität oder Non-Dualität oder Non-Duality begegnen bzw. ihrem Einfluß innerhalb der spirituellen Szene nicht entkommen können. Die Philosophie der Nicht-Dualität oder Non-Dualität bleibt der primäre Einfluss in allen großen spirituellen Traditionen, die Selbstverwirklichung und Erleuchtung anstreben, denn nicht nur Advaita, sondern alle buddhistischen Schulen basieren auf diesem Konzept. Die meisten ernsthaft an Spiritualität interessierten Suchenden können sich also diesem Teaching nicht entziehen, nachdem die gesamte neo-advaitische Satsang-Kultur, die im kollektiven spirituellen Geist Wurzeln geschlagen hat, eine starke Kommerzialisierung eben dieses nicht-dualen Konzepts betreibt.

Nicht-Dualität (indisch: Advaita) bedeutet die Einsicht, daß kein Gegenstand ohne (s)einen Beobachter existieren kann, daß also Subjekt und Objekt stets ein zueinander komplementäres Paar darstellen. Das Selbst als individuelle oder separate Wesenheit ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil es dann wieder ein zu beobachtender Gegenstand und damit ein Objekt wäre.

Laut Advaita ist ausschließlich diese Erscheinungs-Welt dual. So etwas wie ein Selbst gäbe es nur im Zusammenhang mit einer Erscheinung – nämlich als den Zeugen dieser Erscheinung. Sobald die Erscheinung sich auflöst, müsste sich auch der Zeuge auflösen. Die eigentliche Natur der Realität sei aber Nicht-Dual, was bedeutet, dass es dort keine Unterschiede und keine Individualität (Persönlichkeit) gibt. Mit Persönlichkeit ist hier nicht das Ego-Ich gemeint, sondern die innere, individuelle Subjektivität. Laut Advaita gibt es nur das Prinzip der Existenz, das in sich nicht strukturiert ist, also keine definierten Eigenschaften haben kann.

Die Lehre der Nicht-Dualität enthält einen wahren Kern, denn es gibt tatsächlich das Prinzip der Existenz – den unpersönlichen Anteil in der Quelle – der bei der blitzartigen Erfahrung der Leere erlebt werden kann. Viele nennen das eine “Erleuchtung” – in Wirklichkeit ist es aber nur eine Öffnung der inneren Tür, die zum Eintreten auffordert. Diesen Teil der Realität jedoch als die gesamte Realität anzusehen ist schlicht und einfach naiv, denn alleine schon die Behauptung, dass es keine Dualität gäbe, setzt Dualität voraus.

Es gibt auch keine einzige gemeinsame Version/Form von Nicht-Dualität. Das Konzept variiert von einer Tradition zur anderen und von extremen Ansichten zu moderateren. Zum Beispiel gibt es im Buddhismus die Idee von zwei Wahrheiten: eine höhere und eine niedrigere Wahrheit. Die niedrigere Wahrheit akzeptiert eine bestimmte Ebene der Dualität auf einer täglichen, praktischen Ebene, während die höhere Wahrheit als die Abwesenheit von Selbst oder Leere beschrieben werden kann. In Advaita gibt es auch verschiedene konzeptuelle Ansätze, wie zum Beispiel denjenigen, der die Existenz des persönlichen Gottes, Ishvara als Aspekt des einen Selbst, Brahman, akzeptiert. Es ist wichtig zu bedenken, dass Advaita durch den Austausch von Ideen zwischen hinduistischen und buddhistischen Gelehrten, die zu der Zeit für spirituelle und politische Vorherrschaft in Indien kämpften, stark vom Buddhismus beeinflusst war. Darüber hinaus schuf Buddha selbst einen Pfad und eine Philosophie, die zutiefst von den nicht-dualen Konzepten konditioniert waren, die bereits im alten Hinduismus existierten.

Was stimmt also nicht mit der non-dualen Philosophie?

An der Oberfläche erscheint sie sehr überzeugend, vor allem für diejenigen Menschen, welche glauben, sich nicht wirklich mit ihrer Psyche beschäftigen zu müssen und Spiritualität mit Psychotherapie verwechseln. Alle Versuche zu vorzeitiger Transzendenz – Zuflucht im unpersönlichen Absoluten zu suchen, um zu vermeiden, mit der eigenen psychischen Dynamik, den persönlichen Themen und Gefühlen oder der eigenen Berufung umzugehen – führen zu innerer Verleugnung und dies kann monströse Schattenelemente erzeugen. Spirituelle Umgehung beruft sich oft auf eine rationale Begründung, die darauf beruht, dass absolute Wahrheit benutzt wird, um relative Wahrheit zu leugnen oder zu entwerten.

Wir müssen uns auch der traurigen Tatsache stellen, dass sich die Menschheit auf vielen Ebenen seit den Zeiten der Upanishaden und Buddhas weiter entwickelt hat, aber die Wissenschaft der Erleuchtung hat sich kaum weiterentwickelt. Wir leben immer noch in den dunklen Zeiten der Spiritualität in dem Sinne, dass fast alle spirituellen Lehren auf der ständigen Wiederholung dessen basieren, was vor Tausenden von Jahren entdeckt und gelehrt wurde. Dieser Perspektive fehlt jedoch ein seit langem dringend notwendiger „Update“ und die Erkenntnis, dass östliche Weisheitslehren und Lehrer nicht immer für ein westliches Leben geeignet sind, da sie eine total unterschiedliche Ausgangsbasis haben.

Spirituelle Lehrer erinnern uns of daran, dass wir liebevoll und mitfühlend sein oder Selbstbezogenheit und Aggression aufgeben sollten, aber wie können wir das tun, wenn unsere gewohnten Tendenzen aus einem ganzen System von psychologischer Dynamik entstehen, das wir nie klar gesehen oder direkt angeschaut, geschweige denn durchgearbeitet haben? Menschen müssen ihre Wut oft fühlen, anerkennen und bewältigen, bevor sie zu einem echten Vergeben oder Mitgefühl gelangen können. Das ist relative Wahrheit.

Eine absolute Wahrheit ist es, dass zumindest in unserem Universum alles immer paarweise auftritt und dass es niemals einen reinen, nicht-dualen Zustand geben kann, den “jemand” erlebt, denn dann ist dieser Jemand bereits ein Ausdruck von Dualität. Advaita ist nichts anderes, als eine grob vereinfachte, intellektuelle Vorstellung der Natur der Realität. Der Verstand der Advaita-Urheber reichte damals nicht aus, um die Natur der Realität wirklich zu verstehen – es ging über die normale Verstandeskapazität hinaus. Daher vereinfachten sie und stellten ein Erleuchtungs-Modell auf, das ausschließlich auf der Erfahrung der Leere basiert.

Ich weiß, dass es schon immer eine Unstimmigkeit zwischen der buddhistischen Vorstellung von keinem Selbst und hinduistischen Behauptungen eines essentiellen Atman gab. Auch der große Sri Aurobindo sagte er habe Nirvana erlangt, aber dann erlebte er Zustände des Bewusstseins als darüber hinausgehend, Zugang zum Supermind, das ein höheres Selbst ist, das in die materielle Welt gebracht werden soll, um nicht nur das Individuum, sondern schlußendlich die ganze Menschheit zu verwandeln.

Wir hören so oft von einem globalen Erwachen oder einem neuen Zeitalter der Spiritualität, aber wer erwacht zu was?

Noch sehr viele Menschen sind sich ihrer wahren Natur so unbewusst wie sie es immer waren. Die Globalisierung des spirituellen Marktplatzes sollte nicht mit globalem Erwachen verwechselt werden. In Wahrheit wird Spiritualität immer oberflächlicher und die spirituellen Lehrer, die den unbewussten Massen billige und absurde Versionen der Erleuchtung verkaufen, werden immer effektiver. Manche Menschen mögen sich zu einem bestimmten Grad psychologisch etwas weiter entwickelt haben, aber geistig/spirituell sind viele stagniert, wenn nicht sogar zurückentwickelt, egal wie viele Satsangs, Yoga Kurse und Workshops besucht werden. Um in unserer Kultur zu leben, braucht man keinen Kontakt zu seiner Seele – nicht einmal zu der eines anderen. So seltsam das auch sein mag: Ein Leben ohne Seelenverbindung ist völlig normal! Millionen leben so, einschließlich gut angepasster Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und auf allen Stufen der wirtschaftlichen und sozialen Leiter. Zu ihnen gehören auch höchst erfolg- und einflussreiche Führungspersönlichkeiten, Organisationen und Nationen. Viele von ihnen haben wahrscheinlich niemals erlebt, wie es ist, Kontakt zur eigenen Seele zu haben. Auch das ist leider normal. Und gleichzeitig existiert der intensive spirituelle Hunger von so vielen in unserer Zeit. Diese „Hungrigen“ wandern neugierig am langen Spirit-Buffet entlang, kosten hier und da und werden früher oder später in den Sog der Non-Duality Geisteswahrnehmung gezogen. Und am Anfang hört sich vieles davon recht beeindruckend an.

Auch ich habe mich lange mit der Non-Dualen Satsang-Kultur gerumgeplagt, angefangen von Gangaji und Tibetischen Buddhismus bis hin zu John de Ruiter, mit dem ich mich doch einige Zeit beschäftigte. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich da „durch“ war und es hat mir viel Herzschmerz beschert, denn vieles davon ist so nahe der Wahrheit und doch fehlte immer etwas, ich wusste nur nicht was. Mit John de Ruiter hatte ich zum ersten Mal wirkliche tiefe innere Stille erfahren und das war „zellerschütternd“ damals. Aber das Gefühl, dass ich mich irgendwie im Kreis drehe und doch nirgendwo ankomme, wurde immer stärker und letztendlich richtiggehend lähmend. Als ob ich in der ganzen Stille und Leere selber verschwinden würde. Ich wurde jeden Tag „weniger“, nicht mehr. Es war eine andere Form von Seelenverlust, denn „Sie“ (die Seele) zog sich damals fast ganz zurück. Ich erlebte das Paradox dass, je „spiritueller und erleuchteter“ ich wurde, desto mehr Seelenverlust erlitt ich. Erst als ich mir erlaubte, ganz aus dem mentalen Schwingungsfeld der Non-Dualen Welt herauszutreten, kam ich endlich wieder zu mir – in mir an – und Sri Aurobindo und Die Mutter betraten zu der Zeit meinen spirituellen Raum. Sie hinterließen tiefe und wichtige Spuren und Samen in meinem Bewusstsein – allen voran die Erkenntnis, dass es in der modernen Spiritualität um eine Abwärtsbewegung, um die volle Inkarnation der Seele im Menschsein geht, und nicht nur um Transzendenz und Tschüß in den Samadhi. Die knallharte Erkenntnis, dass meine Seele aber null Absicht hat endlos in irgendwelchen „Leeren“ zu schweben, sondern voll an ihrem Menschsein interessiert ist, war eiskaltes Wasser über meinen spirituellen Aspirationen und ein ziemlich abruptes Erwachen.

Unsere Realität in dieser Welt erfordert immer Gleichgewicht – das Dasein ist deshalb ein Spiel der Polaritäten.

Ich frage mich öfters, ob die Erfahrung der Selbstverwirklichung oder des Erwachens sich auf natürliche Weise in ein nicht-duales Verständnis hin-entwickelt. Oder ist es umgekehrt – dass ein nicht-dualer Wirklichkeitsbegriff das Wesen und die Erfahrung der Selbstverwirklichung einschränkt? Letzteres weist auf die Rolle unserer Intelligenz bei der Interpretation eines erwachten Zustandes hin. Hier ist das erste, was zu erkennen ist, dass es äußerst schwierig ist, jede erwachende Erfahrung im Verstand richtig zu verstehen und zu reflektieren. Die innere Welt ist der menschlichen Intelligenz oft völlig unbekannt und unverständlich, wenn der Verstand nur im Bereich der Objekte zu funktionieren und sich zu orientieren weiß. Daher haben die meisten von denen, die den spirituellen Weg gehen, sehr wenig Fähigkeit zu verstehen, was sie erfahren, wenn sie in der Meditation in bestimmte Zustände wechseln. Was sie als eine Erfahrung von Einheit oder Nicht-Dualität interpretieren, kann leicht ein tranceartiger Zustand des Geistes sein, der die Natur des veränderten Bewusstseins nicht richtig erfassen kann. Da die meisten Menschen nicht in der Lage sind zu verstehen, was sie erfahren, interpretieren sie ihre Erfahrungen durch die Konzepte ihrer jeweiligen (spirituellen) Traditionen. Und weil die Wissenschaft der Erleuchtung ursprünglich von einer nicht-dualen Philosophie ausging, ist die Nicht-Dualität zum Paradigma für all diejenigen geworden, die nicht fähig sind, ihre Grundannahmen in Frage zu stellen.

Viele Suchende sind wie blind und versuchen sich in einer Landschaft zu orientieren, die jenseits ihrer Fähigkeit ist, richtig zu sehen und zu verstehen und deshalb werden die meisten Erweckungs-erfahrungen als eine Form der Nicht-Dualität interpretiert. Dieser Mangel an Orientierung in der inneren Welt führt natürlich dazu, die einfache Lösung zu suchen und das Althergebrachte immer wieder neu aufzuwärmen, auch wenn es hinten und vorne nicht mehr richtig zu einem passt. Was nützt mir all das Gerede von Nicht-Sein, Alles ist nur eine Illusion, Ich bin schon perfekt in meinem Sein usw? Das Selbst wird immer verwirrter, je mehr es durch die Nicht-Dualität-Brille interpretiert wird, und so geht die erschöpfende EndlosSuche nach Selbsterkenntnis und Erleuchtung immer weiter und nach vielen Irrungen und Verwirrungen auf dem Weg geben die meisten einfach erschöpft, desillusioniert und zutiefst enttäuscht auf. Gar manche landen dann wieder mit den klassischen, christlichen Lehren, die aber in dieser Runde noch viel fundamentalistischer angehaucht sind. Da ist dann viel Gerede vom Teufel, Sünde und „Raus aus der Esoterik“ und das inzwischen riesige Angebot auf dem Verschwörungs-Markt fällt auf dankbare Abnehmer und fruchtbaren Boden. Angst steigt diametral zur Enttäuschung – es ist immer noch keine Lösung für all die Probleme der Menschen in Sicht. Keine einfache Situation, die da vorherrscht.

Die non-duale Philosophie ist als eine Absage an den Zustand der Trennung entstanden und man hat versucht, eine relativ simple Lösung zu finden. Dualität wurde schnell für alle Dramen und Probleme dieser Welt verantwortlich gemacht; es wurde als DAS zu überwindende Problem definiert, aber dies ist eine falsche Annahme, die auf einer falschen Prämisse beruht, die in Selbstverleugnung wurzelt. Diejenigen, die es künstlich vereinfachen, haben sich selbst nicht erkannt und täuschen andere. Darüber hinaus ist es nicht das Ende unserer spirituellen Entwicklung, sondern der wahre Anfang, zu erkennen, wer wir sind. An der „Nicht-Dualität“ festzuhalten oder „Ego-los“ zu sein, hält uns auf dem Berg fest. So zu tun, als hätten wir keine Wünsche, so zu tun, als würden wir keinen Schmerz oder Verlust empfinden, so tun, als ob wir nicht von einem inneren Impuls getrieben würden, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln, ist eine müde alte Lüge.

Manche Menschen, die meine Hilfe bzw. Begleitung suchen, haben viele Jahre lang spirituelle Übungen gemacht. Sie leiden nicht unter traditionellen klinischen Syndromen (denn dann müsste ich sie zu einem Therapeuten schicken), sondern unter einem Stillstand in ihrem Leben, den sie mit ihrer spirituellen Praxis nicht durchdringen und lösen konnten: sie können keine dauerhafte Beziehung aufrechterhalten, keine wirkliche Freude empfinden, nicht produktiv oder kreativ arbeiten, sich selbst nicht mit Mitgefühl behandeln und nicht verstehen, warum sie bestimmte Verhaltensweisen immer noch nicht aufgegeben haben.

Die gewaltige Diskrepanz zwischen der Differenziertheit ihrer spirituellen Praxis und der Ebene ihrer persönlichen Entwicklung macht mich fassungslos. Manche von ihnen haben Jahre mit esoterischen Praktiken zugebracht, die einmal als die fortschrittlichsten galten, ohne die rudimentärsten Formen der Selbstliebe oder zwischenmenschlicher Sensibilität zu entwickeln. Oft wurde nur eine innere Unzufriedenheit verstärkt, die sie antrieb, hohe spirituelle Ideale zu verfolgen, ohne eine Spur von Freundlichkeit sich selbst und ihren Grenzen gegenüber zu empfinden.

Es gibt keine Selbstverwirklichung ohne Dualität, denn Erleuchtung löst die Dualität nicht auf.

Im Gegenteil, es erleuchtet das Bewusstsein der Dualität, so dass wir zum ersten Mal sehen können, was wirklich dual ist und auf was sich die Dualität bezieht. Dualität ist die Realität auf unserem Planeten und der aktive Geist der Schöpfung, die kostbare Kraft, durch die alles und jedes existieren kann. Nicht-Dualität ist das passive Prinzip der Existenz.

In allen Traditionen der Selbstverwirklichung fehlt das wichtigste Element und das Verständnis darüber, wer wir wirklich sind. Selbsterforschung auf dem Weg von Advaita oder Buddhismus führt uns zu den falschen Schlussfolgerungen: Es beginnt mit dem Vorurteil, dass unser einzigartiges Selbstempfinden unwirklich ist und nur das Universelle real ist.

„Wir haben die Göttlichkeit der Materie negiert und sie allein auf unsere heiligen Stätten verbannt, und dafür rächt sie sich jetzt – wir nannten sie grob und ungehobelt, und das ist sie auch. Solange wir dieses Ungleichgewicht tolerieren, gibt es keine Hoffnung für die Erde. Wir schwingen von einem Pol zum anderen genauso falschen, von materiellem Genuß zur spirituellen Entsagung, ohne jemals die wahre Erfüllung zu finden. Wir brauchen sowohl die Robustheit der Materie als auch die frischen Wasser des Geistes. Doch nun mag die Zeit gekommen sein, die Mysterien zu entschleiern, seien sie vedisch, orphisch, alchemistisch oder katharisch, und die vollkommene Wahrheit der beiden Pole zurückzuerobern innerhalb einer dritten Position, die weder die des Materialisten noch jene des Spiritualisten ist.“

Satprem – Sri Aurobindo oder das Abenteuer des Bewusstseins

Niemand hat die Frage „Wer bin ich?“ aus der Advaita Szene richtig beantwortet, denn sie stecken immer noch in der Vergangenheit fest. Zu Beginn unseres Erwachens können wir diese Frage überhaupt nicht beantworten, nicht nur weil die bewusste Verbindung mit der Seele unterbrochen und unser Höheres Selbst abwesend ist, sondern auch, weil unser Strategisches Selbst (Egopersönlichkeit) vollständig fragmentiert ist. Wenn ein reifer Suchender mit einer grundlegenden psychischen und geistigen Stabilität diese Frage mit absoluter Ehrlichkeit verfolgen würde, jemand, der bewusst genug wäre, um zu wissen, wo er suchen sollte, aber dessen Seele noch schlummert, würde er als seine Antwort das grundlegende Bewusstsein von „Ich“ entdecken. Ich ist unser angeborenes Selbstgefühl, in dem alle unsere Gedanken und Wahrnehmungen enthalten sind. Alle Lebewesen besitzen den Sinn für Ich, sonst wüssten sie nicht, dass sie existieren. Wenn die Inneren Anteile, die unser ICH ausmachen, genügend erforscht und integriert worden sind und so ein Bewusstes Selbst entwickelt werden kann, bekommen wir ein Wissen von „mir selbst“ an sich.

Für die tiefere Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ müssen wir zu etwas erwachen, das wir noch nicht sind; wir müssen zu unserem Potenzial erwachen. Das Licht von ICH muss in unsere Existenz eintreten und sich in das Bewusstsein von mir integrieren, damit das Bewusstsein unserer Seele erwachen kann. Wenn die Seele nicht erfühlt, nicht erkannt wird, kann man diesen Zustand sehr leicht als unpersönlich, als universelles Bewusstsein missverstehen und vergessen, wer man ist. Diese Art der Identifikation mit dem Unpersönlichen ist eine der größten Gefahren auf dem spirituellen Weg, da sie die Verwirklichung unserer göttlichen Individualität gefährdet.

Die Seele sollte nicht mit irgendeiner Art von Strategischem Selbst verwechselt werden. Sie ist unser höheres Wesen, welches erst in unseren physischen Körper kommen muss, sonst bleibt sie nicht existent. Die Seele, wenn sie erwacht ist, umarmt unsere menschliche Natur und lässt den Menschen in uns ganz werden, um Reinigung und Heilung zu erreichen und unsere wesentlichen menschlichen Wünsche zu erfüllen. Die Seele ist das heilige Reich unserer innigsten Absichten, unserer einzigartigen Bedeutung und unseres letztendlichen Lebenssinns. Die Seele ist der Schlüssel zu unseren zentralen Lektionen – und zu unseren Gaben, die wir und nur wir alleine einbringen können.

Die Verwirklichung unserer reinen Natur ist ein komplexer Prozess.

Spirituelle Sucher, die versuchen, unemotionaler, selbstloser oder mitfühlender zu sein, als sie in Wirklichkeit sind, hassen sich oft im Geheimen dafür, wie sie ihre hohen Ideale verfehlen. Das gibt ihrer Spiritualität etwas Kaltes und Feindliches. Indem sie Spiritualität auf eine Weise praktizieren, die die Diskrepanz zwischen der Wahrheit, wie wir sind, und wie wir meinen, sein zu müssen, vergrößert, wird das Gefühl von Selbsthass und innerer Unfreiheit und Zwang noch intensiver. Oft dient das Streben nach einem spirituellen Ideal nur dazu, das kritische Über-Ich zu stärken – die innere Stimme, die uns sagt, dass wir nie gut genug, nie aufrichtig genug, nie liebevoll genug sind. In einer Kultur, die von Schuld und Ehrgeiz durchdrungen ist, in der Menschen verzweifelt versuchen, sich über ihre unsicheren irdischen Fundamente zu erheben, übt das spirituelle Über-ich einen durchgehenden unbewussten Einfluss aus, der besondere Aufmerksamkeit und Arbeit verlangt. Dazu braucht man ein Verständnis von psychischer Dynamik, die traditionellen spirituellen Lehrern und Lehren oft fehlt.

Zu lange war das Absolute König. Zu lange haben wir versucht, Gedanken los zu werden, Emotionen zu überwinden, unsere Menschlichkeit loszulassen. Zu lange waren wir in eine körperlose, distanzierte und leidenschaftslose spirituelle Fantasie verstrickt, in der „nichts passiert“ und „niemand etwas tut“. Lass dich nicht von Jahrtausenden der spirituellen Tradition mit diesem Nicht-Dualen Mythos zurückhalten. Selbst diejenigen, die spirituell erleuchtet sind, sind Menschen. Auch spirituelle Lehrer sind Menschen. ?

Jetzt ist die Zeit, wo wir uns unsere Verletzlichkeit eingestehen, die Tiefe unserer Gefühle zugeben und vor allem zugeben, dass wir uns manchmal verwirrt oder verängstigt oder gebrochen fühlen.
Jetzt ist die Zeit, dass wir den bittersüßen Geschmack des Lebens auf der Erde annehmen, unsere Zärtlichkeit und unsere Wildheit willkommen heißen.
Jetzt ist die Zeit, in der wir tanzen und weinen und auf unsere Knie fallen.

Bitte, versteht mich nicht falsch. Es geht nicht darum, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es geht darum, uns von spirituellen Vorstellungen, spirituellen Definitionen und spirituellen Rollen zu befreien.

Lasst das Absolute nicht zu eurem Gefängnis werden, in dem ihr nicht mehr atmen könnt. Wir sind viel größer, viel reicher und viel reifer.
Lasst uns die Fesseln der Spiritualität, Erleuchtung, Nicht-Dualität … und alles andere abschütteln, was die ganze Breite und Tiefe unserer Lebendigkeit erstickt.
Lasst uns dem, was hier ist, treu sein, ohne zu transzendieren, zu leugnen oder zu betäuben.

Lassen wir das Leben in jeden angstvollen, beschämenden, hässlichen Teil von uns eindringen und uns weit aufreißen, damit wir die Schönheit auch dorthin bringen können.
Lassen wir uns doch mit offenem Herzen auf die Trauer, Verzweiflung und das Entsetzen der Welt ein.
Lassen wir unsere Menschlichkeit in unsere Göttlichkeit und unsere Göttlichkeit in unsere Menschlichkeit fließen und lassen wir sie hin und her fließen wie die Gezeiten, die kommen und gehen.

Von Herz zu Herz ?
Renate

 

Om Mani Padme Hum ?

 

P.S. Auch Steven Black hat einen Artikel zu diesem Thema geschrieben: Das Nonduale Paradigma

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