Wer bin ich und wenn ja, wie viele

Wer bin ich und wenn ja, wie viele

Wer bin ich und wenn ja, wie viele ist der Titel eines Buches von Richard David Precht. Den leih ich mir jetzt mal aus, denn er beschreibt wunderbar das erste Erkennen, dass wir mehr sind als wir meinen. Die Herausforderung, ein sogenanntes ICH (oder auch Ego genannt) in ein Selbstbildnis von einem WIR (Innere Personen, das Innere Team, Teilpersönlichkeiten, Aspekte, Subpersönlichkeiten, Energiemuster oder wie auch immer genannt) zu wandeln und alle diese Selbste auf kreative Weise zu integrieren, ist vielleicht die schwierigste Aufgabe in der Entwicklung des Bewusstseins in diesem Moment überhaupt.

Was wir als unser Ich kennen ist kein Ich, es ist vielmehr ein WIR.
Die Vorstellung, dass dieses angenommene Ich vielmehr ein Konglomerat verschiedener Ich-Identitäten und Persönlichkeiten sein könnte, um die menschliche Erfahrung zu potenzieren und die gemeinschaftlich an der menschlichen Erfahrung mitwirken, dies zerrt erst einmal an den Grundfesten des gelernten und ist ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele. Denkt man genauer darüber nach und hat man einmal einige “Tauchgänge” in die eigene Psyche hinter sich, dann versteht man sehr schnell, wie die Architektur unserer inneren Landschaft wirklich beschaffen ist. Zum Beispiel sind sich Menschen sehr wohl bewusst darüber, dass „etwas“ in ihnen das eine will, und „etwas“ möchte was anderes, oder auch als unterschiedliche Stimmen bekannt, die sie in ihren Kopf wahrnehmen. Oft kommen die verschiedenen Persönlichkeitsanteile während des Tages durch, ohne dass die Person eine Ahnung davon hat, dass da mehrere Aspekte in ihrer Psyche anwesend sind. Die Übergänge können fließend, oder manchmal auch abrupt sein. Aber es wird immer aus der Position des Ich wahrgenommen. Dieses ständige Wechseln zwischen den Anteilen ist natürlich und stellt normalerweise kein Problem dar. Diese entstehen erst, wenn zu viele Anteile unterschiedliche Dinge möchten; dann beginnt der innere Kampf den viele gut kennen und der sehr viel Energie und Kraft kosten kann.

Wir mögen über unser „Inneres Kind“, unser „Über-Ich“ oder den Inneren Kritiker (die sind inzwischen populär geworden) unsere Launen und inneren Stimmen sprechen, aber die wenigsten von uns betrachten sie als eigenständige innere Wesen. Stattdessen werden sie als Metaphern für emotionale Zustände betrachtet oder als Aspekte unserer einheitlichen Persönlichkeit. Diese Idee der einheitlichen Psyche ist allerdings eine relativ neue Erfindung der „zivilisierten Gesellschaft“, denn wer sich nur ein bisschen mit den schamanischen Traditionen der Urvölker befasst hat, dem wird schnell klar, dass in all diesen Kulturen es das Reich der Geister gibt und eben auch ein Reich, das von verschiedenen Stimmen und Gestalten bewohnt wird.

Die meisten therapeutischen Modelle lehren, dass die Gründe für all unsere Lebensprobleme in unseren Genen, in neurologischen Prozessen, negativen Gedankenmustern, Mangel an rationaler Selbstkontrolle, kulturellen und familiären Konditionierungen oder strukturellen emotionalen Fixierungen zu finden sind. All diese Faktoren werden dargestellt als das, was zwischen unserer Realität und unserem idealen Selbst steht. Je kleiner diese Diskrepanz, umso größer ist unser Selbstbewußtsein – so die landläufige Meinung. Psychotherapie, ob traditionell oder von Pop-Spiritualität beeinflußt, hatte bisher lediglich zum Ziel, negatives Verhalten, nicht aber die ungesunde Basis unseres Verhaltens insgesamt zu behandeln, und wenn diese Basis nicht gesund ist, dann ist es egal, ob wir dieses Verhalten positiv oder negativ einschätzen. Denn alles, was wir unbewußt nutzen, um eine unangenehme Wahrheit über unser Leben nicht zu fühlen, stellt eine Art von Droge dar. Das anzuerkennen ist eine große Herausforderung.

Solange wir nicht wirklich und direkt mit den Inneren Personen Kontakt aufnehmen, ist klassische Therapie leider oft auf das Herauslassen oder Druckablassen von Emotionen beschränkt. Aber Ziel echter Therapie sollte sein, aufzudecken, was auch immer wir auf diese Art als Droge nutzen und das kann auch positive Verhaltensformen, positives Denken, Selbstkontrolle oder Spiritualität betreffen. Die Idee der Multiplizität des ICHs bleibt aber bislang eine Randerscheinung des psycho-medizinischen Establishments und unserer Kultur insgesamt.

Dem Einwand, dass Methoden wie IFS und Voice Dialogue die menschliche Persönlichkeit spalten könne, ist zu entgegnen, dass sie es bereits ist. Es ist die Aufgabe von Schulen wie IFS und Voice Dialogue, diese Spaltung zu erkennen und zu bearbeiten. Ohne dieses Verständnis müssen wir weiterhin ohnmächtig zusehen, wie verschiedene Persönlichkeits-aspekte unser psychologisches Auto steuern, während wir auf dem Rücksitz – oder noch schlimmer – im Kofferraum sitzen.

Die wichtigsten Methoden und Schulen der Inneren Personen Dynamik

Inner Family System (IFS) von Dr. Richard C. Schwartz hat in den letzten Jahren sehr nachhaltig dazu beigetragen, die professionelle therapeutische Landschaft dahingehend zu beeinflussen und zu verändern.

Voice Dialogue von Dr. Hal und Dr. Sidra Stone ist eine der ältesten Methoden, welche mit den Subpersönlichkeiten arbeiten. Theoretisch von Jung und Assagioli beeinflusst, wurde es von Trends wie Psychodrama, Gestalt, Transaktionsanalyse und Psycho gefördert, und Einflüsse können zurück auf die griechische Philosophie und die Lehren von Aurobindo und Gurdjieff verfolgt werden. Seither wird VD kontinuierlich ausgearbeitet und hielt Einzug in Psychotherapie, Coaching, Beratung und andere Bereiche.

Individual Systemics von Artho Wittemann ist eine im deutschsprachigen Raum sehr gut bekannte Methode. Er war einer der ersten Trainer von Voice Dialogue in Deutschland, trennte sich dann von VD und entwickelte Individual Systemics – „Fünf Sprachen der Psyche“.

Ein weiterer Einfluss kommt durch EBE (Emotional Body Enlightenment) von Daniel S. Barron. Ihm geht es um die Erleuchtung des menschlichen Emotionalkörpers und um das Ende der Vorstellung, dass das Menschsein auf irgendeine Weise transzendiert werden müsse, damit wir spirituelle Reife erlangen können. Laut Barron nehmen die Wunden des Emotionalkörpers die Gestalt bewusster, ganz bestimmter Subpersönlichkeiten an, um sich in Form unseres unbewussten Schattens und seiner verborgenen Motivationen zu zeigen.

Barron lehrt, dass unsere emotionale Entwicklung vier Stadien durchläuft:

1. Abhängigkeit von den Eltern im Kleinkindalter
2. Ko-Abhängigkeit von den Eltern in der weiteren Kindheit
3. Unabhängigkeit, sobald wir gelernt haben, uns emotional zu heilen
4. Authentische Offenheit, sobald wir unsere Heilung auch auf intime Beziehungen ausweiten

CoReOn Praxis

Vor ungefähr fünfzehn Jahren fiel mir auf, dass ich in meiner energetischen Arbeit immer wieder unterschiedliche Anteile von Menschen sehr leicht wahrnehmen konnte, vor allem die inneren Kinder, aber auch andere „Figuren“. Oft konnte ich sie richtiggehend „sehen“, meistens aber habe ich sie „gehört“, da ich stark hellhörend bin. Mein Problem jedoch war, dass ich nicht wusste, was mit ihnen anfangen bzw. wie ich ihnen am besten helfen sollte.
Ich habe mich lange damit herumgeplagt herauszufinden, wie diese Stimmen und Aspekte einzuordnen sind, habe lange gesucht und nichts brauchbares gefunden, bis ich „zufällig“ in London auf Voice Dialogue gestoßen bin. Endlich hatte ich ein System und Erklärungsmodell gefunden, welches für mich Sinn machte und mit dem ich mich und meine Arbeit weiterentwickeln konnte.

Da ich ja keine Psychotherapeutin bin, sondern Spezialistin für energetische, spirituelle, feinstoffliche, innere Welten, war ich hauptsächlich daran interessiert, wie ich diese für mich neue und total spannende Welt der Inneren Personen Menschen zugänglich machen kann, die sich nicht in Therapie befinden. Also eine Methode für Menschen zur SelbstErfahrung und Kommunikation; ähnlich aufgebaut wie Voice Dialogue, nämlich für Jedermann, nicht nur für Spezialisten und Therapeuten.

Also fing ich an mit der CoReOn MasterClass Gruppe für einige Jahre zu experimentieren, ausprobieren und wirklich testen, was am besten anwendbar ist. Ich wurde dabei von Ansätzen und Methoden wie Aufstellung (der inneren Anteile), Focusing (Fühlen), Voice Dialogue, IFS, Barron und Witteman geführt, getragenen und inspiriert. Daraus hat sich über einige Jahre hinweg dann mein eigener Ansatz entwickelt, den ich mit meiner Art der Energiearbeit und geführten Trance Reisen (Meditation) speziell für diese Arbeit verbunden habe. Es ist eine experimentelle Methode, um die Inneren Personen kennenzulernen, die verdrängten Anteile zu integrieren und sich zusammen weiterentwickeln lernen, mit der klaren Absicht, in Zukunft so gut als möglich aus unserer Bewussten Präsenz heraus zu leben.

Ich suche ständig nach neuen Kriterien für Selbst-Aktualisierung durch emotionale Reife, denn beides hat bislang in der gesamten Bewusstseinsszene gefehlt. Es gibt dort immer noch keine klare Vorstellung davon, was genau Emotionen sind, was der Emotionalkörper ist, wie er unsere Emotionen speichert und wie wir mit ihnen auf eine heilende Art und Weise umgehen können. Ich habe das halbe Universum dafür in Bewegung gesetzt, damit wir hier endlich einmal weiter kommen. Mein Höheres Selbst und mein gesamtes Team aus den geistigen Welten sind mit diesem Projekt verbunden, und sie unterstützen uns nach ganzen Kräften und Möglichkeiten – denn es ist wirklich kein leichtes Unterfangen, zumindest nicht jetzt. Ich beginne täglich besser zu verstehen, dass es die Inneren Personen sind, aus denen ALLE unsere emotionalen Konflikte stammen und wenn sie nicht geheilt werden, führt keine Therapie oder spiritueller Weg zu echter Transformation.

Innere Teilearbeit

Die spirituellen Lehren sowohl des Ostens als auch des Westens gehen immer davon aus, dass wir die so genannten negativen Aspekte, den Schatten unseres Menschseins transzendieren müssen, um in Liebe, Mitgefühl und All-Verbundenheit zu leben. Vor allem sind sie stark auf Ego-Auflösung basiert, welches ein wirkliches Drama im Inneren des Menschen auslösen kann, denn viele der inneren Anteile sind strategisch, d.h. sie sind Teil des Egos. Und sie wollen sicher nicht aufgelöst werden, deshalb kann es zu ernstzunehmenden Psychosen kommen, wenn das versucht wird.

Was wir als unser ICH kennen ist keine singuläre Persönlichkeit, sondern vielmehr ein komplexes Sozialsystem aus mehreren Persönlichkeitsanteilen. Anteile, die wir teilweise schon mitgebracht haben und Anteile, die wir in diesem Leben aus uns selbst erschaffen haben – die aber sehr unterschiedlich agieren und reagieren können. Was wir als unser Ich kennen ist kein Ich, es ist vielmehr ein WIR.

Jeder Mensch erlebt sich selbst in unterschiedlichen Ich-Zuständen, in verschiedenen Rollen. Die Ich Erfahrung des Menschen ist wie eine Art Rollenspiel, wobei unser Bewusstsein sich mit jeder beliebigen Rolle identifizieren, sie als Identität annehmen und zum Leben erwecken kann. Bewusstsein kann jede Persönlichkeit annehmen und alle möglichen Vorstellungen von einer Persönlichkeit entwickeln, sodass wir glauben, nur diese eine Persönlichkeit zu sein. Bevor wir in einen physischen Körper inkarnieren, wissen wir genau, dass wir nicht die Erfahrung sind, sondern Erfahrungen haben. Als Mensch jedoch glauben wir hartnäckig daran, nur dieser Mensch, mit jenen Erfahrungen zu sein. Unser Ich ist jedoch ein systemischer Verbund, wie eine Art innere Familie.

Wir erleben uns möglicherweise als ein Vater oder eine Mutter, gleichzeitig sind wir vielleicht auch Inhaber einer Firma oder Angestellte. Wir sind eventuell auch Mitglied in einem Sportklub, begeisterte Mathematiker, Hobbybastler, vielleicht lieben wir Science Fiktion Bücher oder sind auch noch “Play Station” Fan. Als Vater oder Mutter werden wir die Welt aus völlig anderen Augen betrachten, als der Firmeninhaber, der wir auch sind. Wir werden als Unternehmer oder Angestellte andere Herausforderungen haben, als jene, die wir als Eltern haben. Der Persönlichkeitsanteil, der Mitglied in einem Sportklub ist, wird sich wieder etwas anders ausdrücken, als der Teil in uns, der Vater oder Mutter ist. Und anders, als wir uns als Firmenchef ausdrücken.

Der Mathematiker in uns wird viele Herausforderungen in der Welt unter mathematischen Gesichtspunkten betrachten. Der Bastler in uns kümmert sich vielleicht überhaupt nicht um weltliche Probleme, sondern zieht sich lieber zurück und bastelt halt etwas schönes. Der Firmeninhaber in uns muss beispielsweise fähig sein, harte Entscheidungen zu treffen, die wir als Vater oder Mutter nicht gezwungen sind zu treffen. Und auch nicht der Bastler in uns, der Sportler oder der “Playstation” Spieler.

Und trotzdem sind wir das alles. Wir sind das alles und mehr. Und jeder dieser Persönlichkeitsanteile, die wir über die Zeit entwickelt haben, nimmt sich als ein Ich wahr. Diese Ich Ausformungen gründen sich auf spezielle Interessen und Neigungen, die andere Teile in uns gar nicht haben. Viele Menschen nehmen nicht einmal wahr, dass sie aus unterschiedlichen Persönlichkeitsaspekten bestehen. Es gibt auch Menschen, deren Persönlichkeitsbandbreite auf nur wenigen Aspekten beruht, während andere Menschen breitgefächerte Persönlichkeitsanteile entwickelt haben. Das ist Teil des menschlichen Sozialisierungsprozesses, den jeder Mensch unterschiedlich erlebt und daher prägen wir unterschiedliche Persönlichkeitsaspekte aus.

Das Problem dabei ist nicht, dass wir verschiedene Anteile haben, sondern dass in uns Persönlichkeitsanteile existieren, die wir verdrängt, abgespalten und verbannt haben, oder die schwer traumatisiert sind und wir sie bislang nicht integrieren konnten, egal welche Wege und Methoden wir bisher versucht haben und oft kläglich gescheitert sind.

Wir brauchen also dringend Methoden wie IFS, VD und CTS, um unseren sogenannten Schatten heilen zu können, ohne ihn zu transzendieren. Und damit wird unser »Menschsein« zum Fundament und zur Voraussetzung für unseren spirituellen Weg, anstatt zum Hindernis. Nur so werden wir erleben, dass wirkliche spirituelle Reife nur auf Grundlage echter emotionaler Reife möglich ist.

In der Zwischenzeit haben zwei sehr erfahrene Frauen aus der CoReOn Gemeinschaft die Arbeit mit den inneren Anteilen übernommen, begleiten und trainieren in den Jahresgruppen dieses so wichtige Thema für Bewusstseinsveränderung.

 

 

Om Mani Padme Hum ?

 

© 04 + 10/2017 Renate Hechenberger. Alle Rechte Vorbehalten.

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Es wird darauf hingewiesen, dass dieser Blog nicht zur Diagnose und Behandlung medizinischer und psychischer Erkrankung gedacht ist. Bei einer entsprechenden Indikation wird an die Eigenverantwortung der LeserInnen appelliert, fachkundige und entsprechend ausgebildete Mediziner, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker aufzusuchen.

Quellen

IFS Therapeuten Deutschland, Österreich, Schweiz

Empfehlung

Zum Thema empfehle ich auch folgende Bücher:

Barron ist leider nicht mehr erhältlich, weder in Deutsch noch in Englisch.